7/10/2019

Die traurige Geschichte von der deutschen PKW-Maut


Eine Schnapsidee macht (fast) Karriere



Wie eine lokale Kleinst-Partei (CSU) die komplette deutsche und fast die europäische Legislative mit erpresserischen Mitteln aushebelt


Vor 2013 – Die Idee

Die Idee (aka Hirngespinst) der „Ausländermaut“ von Horst Seehofer wird belächelt.
Seit 2010 wird Seehofer mit diesem Geistesblitz immer wieder zitiert, er kokettiert gerne mit der Entrüstung der Gegner.
Zunächst versuchte er es mit „seinem“ Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der jedoch an den Koalitionspartnern und der Kanzlerin immer wieder scheitert.

2013 – Wahlkampf und Koalitionsvertrag

Seehofer kündigt im Wahlkamps die „Ausländermaut“ an - Konformität mit EU Recht wird schon jetzt angezweifelt

11. August            Seehofer macht Maut zur Bedingung für Koalitionsvertrag: „Ich unterschreibe keinen Koalitionsvertrag, in dem das nicht drinsteht“
1. September        Merkel: „Mit mir wird es keine PKW-Maut geben.“
14. Dezember       die Maut steht im Koalitionsvertrag
17. Dezember       Alexander Dobrindt (CSU) wird Bundesverkehsminister, und damit Seehofers neuer verlängerter Arm zur Durchsetzung der Maut. Ramsauer wird wegen fehlendem Erfolg in die Wüste geschickt.

2014 – Koalitionsstreit und Empfehlung der EU Kommission

26. Juli:               Seehofer stellt die Koalition in Frage: „Käme die Maut nicht, würde sich die Frage der Legitimation der Koalition ebenfalls stellen.“
6. September        Schäuble erklärt, er halte hält die Maut für ein Minusgeschäft. Seehofer wirft ihm „Sabotage“ vor.
November            die EU Kommission empfiehlt Entkopplung von Maut und Steuersenkung. Alexander Dobrindt (CSU) lehnt ab

2015 - Vertragsverletzungsverfahren

18. Juni                die EU Kommission strengt ein Vertragsverletzungsverfahren beim EuGH, nachdem Jean-Claude Juncker "erhebliche Zweifel" angemeldet hatte, dass mit dem Gesetz EU-Ausländer nicht diskriminiert würden.

Dobrindt und Seehofer machen ungerührt weiter.
Sonst ist 2015 (und sogar bis Ende 2016) nicht viel passiert, dennoch hat Dobrindt seine übrigen Aufgaben nicht oder nur sehr nachlässig wahrgenommen, z. B. den Ausbau des Breitbandnetzes.

2016 – Die EU Kommission knickt ein

Dezember            Dobrindt einigt sich mit EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc und ändert den Gesetzentwurf: stärkere Staffelung der Kurzzeittarife, höhere Steuersenkung für Euro-6-Autos

Die EU Kommission setzt Vertragsverletzungsverfahren am EuGH aus

2017 – Eine Serie von Erpressungen

Ende März          Seehofer droht mit Koalitionsbruch, wenn der Koalitionsvertrag nicht eingehalten
                           wird – die Regierung stimmt Maut zu, um die Koalition zu retten, obwohl die
                            Mehrheit dagegen ist.
24. März              Bundestag verabschiedet aus „Koalitionsräson“ das Maut-Gesetz, obwohl es vorher keine Mehrheit gab.

Widerstand formiert sich im Bundesrat – ein Zünglein an der Waage ist Thüringen
Ende März           Seehofer droht (speziell Thüringen) mit dem Ende der Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich
31. März              direkt vor Abstimmung im Bundesrat erhält Thüringen von der CSU (in Form von Verkehrsminister Dobrindt) die Zusage zum Ausbau der Bahntrecken in Thüringen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ändert seine Haltung zur Maut.

Der Bundesrat verabschiedet das Maut-Gesetz, nach dem Umfallen Thüringens sogar ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses.
Oktober               Die EU Kommission zieht ihre Klage vor dem EuGH komplett zurück.

Österreich (unterstützt von den Niederlanden) verklagen Deutschland wegen Vertragsverletzung beim EuGH, nachdem die EU Kommission keine Stellungnahme zu ihrem Rückzug abgab
24. Oktober         Dobrindts Amtszeit endet

2018 - Schichtwechsel

14. März              Andreas Scheuer (CSU) wird Bundeserkehrsminister und führt das „Vermächtnis“ der Maut beherzt weiter.

2019 – Die Maut scheitert (zunächst)

18. Juni                      Der EuGH lehnt Maut ab.

Scheuer: „Die Pkw-Maut ist in dieser Form leider vom Tisch“. Scheuer sagt weiter, das EuGH-Urteil sei „überraschend“ gekommen.

Folgen

Seit 2014 wurden vom deutschen Staat 53,6 Mrd. Euro in die Maut investiert.
Dazu kommen Schadensersatzforderungen (geschätzte Höhe im dreistelliger Millionenbereich) der beauftragten Firmen.

Scheuer und Merkel verteidigen die verfrühten Investitionen, man könne ja nicht bei jeder politischen Entscheidung auf die Gerichte warten.

Da schon von Anbeginn (2013) jedem, der es wissen wollte, klar sein konnte, dass die Maut gegen EU Recht verstößt, könnte man dies den beteiligten Personen m. E. als Veruntreuung auslegen.
Der Bundeshaushalt hat ein Loch von 350-500 Mio. Euro, weil man fest mit der Maut rechnete, und sie sich schöngerechnet hat – sogar Herr Schäuble.

Beurteilung

Es ist erschreckend und dem Glauben an die demokratisch gewählten Instanzen sehr abträglich, dass es einer kleinen (2013: 7,4%) lokale Partei gelungen ist, das Gesetz in Deutschland durch alle Instanzen der Legislative zu bringen, gegen deren besseres Wissen und Großteiles auch gegen deren Überzeugung.

Dass auch die EU-Kommission eingeknickt ist, ist nicht wirklich nachvollziehbar.
Hätte der EuGH nicht so geurteilt, wäre dieser unerhörte Vorgang eine Carte Blanche für die großen EU-Staaten, sich nicht um EU-Recht scheren zu müssen!
Offensichtlich ist der EuGH in diese Kette der Ereignisse die einzige unabhängige Instanz.

Ausblick - was kommt als nächstes?

Maut ohne Steuersenkung – wir wollten ja, die EU und evtl. die Österreicher (das hat die CSU ja schon immer gesagt) sind schuld.
Kein Umweltschutz.
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