Eine Schnapsidee macht (fast) Karriere
Wie eine lokale Kleinst-Partei (CSU) die komplette deutsche und fast die europäische Legislative mit erpresserischen Mitteln aushebelt
Vor 2013 – Die Idee
Die Idee (aka Hirngespinst) der „Ausländermaut“ von Horst
Seehofer wird belächelt.
Seit 2010 wird Seehofer mit diesem Geistesblitz immer wieder
zitiert, er kokettiert gerne mit der Entrüstung der Gegner.
Zunächst versuchte er es mit „seinem“ Bundesverkehrsminister
Peter Ramsauer (CSU), der jedoch an den Koalitionspartnern und der Kanzlerin
immer wieder scheitert.
2013 – Wahlkampf und Koalitionsvertrag
Seehofer kündigt im Wahlkamps die „Ausländermaut“ an -
Konformität mit EU Recht wird schon jetzt angezweifelt
11. August Seehofer macht Maut zur
Bedingung für Koalitionsvertrag: „Ich unterschreibe keinen Koalitionsvertrag,
in dem das nicht drinsteht“
1. September Merkel: „Mit mir wird es keine
PKW-Maut geben.“
14. Dezember die Maut steht im Koalitionsvertrag
17. Dezember Alexander Dobrindt (CSU) wird
Bundesverkehsminister, und damit Seehofers neuer verlängerter Arm zur
Durchsetzung der Maut. Ramsauer wird wegen fehlendem Erfolg in die Wüste
geschickt.
2014 – Koalitionsstreit und Empfehlung der EU Kommission
26. Juli: Seehofer stellt die
Koalition in Frage: „Käme die Maut nicht, würde sich die Frage der Legitimation
der Koalition ebenfalls stellen.“
6. September Schäuble erklärt, er halte hält die
Maut für ein Minusgeschäft. Seehofer wirft ihm „Sabotage“ vor.
November die EU Kommission empfiehlt
Entkopplung von Maut und Steuersenkung. Alexander Dobrindt (CSU) lehnt ab
2015 - Vertragsverletzungsverfahren
18. Juni die EU Kommission strengt
ein Vertragsverletzungsverfahren beim EuGH, nachdem Jean-Claude Juncker
"erhebliche Zweifel" angemeldet hatte, dass mit dem Gesetz
EU-Ausländer nicht diskriminiert würden.
Dobrindt und Seehofer machen ungerührt weiter.
Dobrindt und Seehofer machen ungerührt weiter.
Sonst ist 2015 (und sogar bis Ende 2016) nicht viel
passiert, dennoch hat Dobrindt seine übrigen Aufgaben nicht oder nur sehr
nachlässig wahrgenommen, z. B. den Ausbau des Breitbandnetzes.
2016 – Die EU Kommission knickt ein
Dezember Dobrindt einigt sich mit
EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc und ändert den Gesetzentwurf: stärkere
Staffelung der Kurzzeittarife, höhere Steuersenkung für Euro-6-Autos
Die EU Kommission setzt Vertragsverletzungsverfahren am EuGH aus
Die EU Kommission setzt Vertragsverletzungsverfahren am EuGH aus
2017 – Eine Serie von Erpressungen
Ende März Seehofer
droht mit Koalitionsbruch, wenn der Koalitionsvertrag nicht eingehalten
wird – die
Regierung stimmt Maut zu, um die Koalition zu retten, obwohl die
Mehrheit
dagegen ist.
24. März Bundestag verabschiedet aus
„Koalitionsräson“ das Maut-Gesetz, obwohl es vorher keine Mehrheit gab.
Widerstand formiert sich im Bundesrat – ein Zünglein an der Waage ist Thüringen
Widerstand formiert sich im Bundesrat – ein Zünglein an der Waage ist Thüringen
Ende März Seehofer droht (speziell
Thüringen) mit dem Ende der Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich
31. März direkt vor Abstimmung im Bundesrat
erhält Thüringen von der CSU (in Form von Verkehrsminister Dobrindt) die Zusage
zum Ausbau der Bahntrecken in Thüringen.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ändert seine Haltung zur Maut.
Der Bundesrat verabschiedet das Maut-Gesetz, nach dem Umfallen Thüringens sogar ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ändert seine Haltung zur Maut.
Der Bundesrat verabschiedet das Maut-Gesetz, nach dem Umfallen Thüringens sogar ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses.
Oktober Die EU Kommission zieht ihre
Klage vor dem EuGH komplett zurück.
Österreich (unterstützt von den Niederlanden) verklagen Deutschland wegen Vertragsverletzung beim EuGH, nachdem die EU Kommission keine Stellungnahme zu ihrem Rückzug abgab
Österreich (unterstützt von den Niederlanden) verklagen Deutschland wegen Vertragsverletzung beim EuGH, nachdem die EU Kommission keine Stellungnahme zu ihrem Rückzug abgab
24. Oktober Dobrindts Amtszeit endet
2018 - Schichtwechsel
14. März Andreas
Scheuer (CSU) wird Bundeserkehrsminister und führt das „Vermächtnis“ der Maut
beherzt weiter.
2019 – Die Maut scheitert (zunächst)
18. Juni Der EuGH lehnt Maut ab.
Scheuer: „Die Pkw-Maut ist in dieser Form leider vom Tisch“. Scheuer sagt weiter, das EuGH-Urteil sei „überraschend“ gekommen.
Scheuer: „Die Pkw-Maut ist in dieser Form leider vom Tisch“. Scheuer sagt weiter, das EuGH-Urteil sei „überraschend“ gekommen.
Folgen
Seit 2014 wurden vom deutschen Staat 53,6 Mrd. Euro in die
Maut investiert.
Dazu kommen Schadensersatzforderungen (geschätzte Höhe im
dreistelliger Millionenbereich) der beauftragten Firmen.
Scheuer und Merkel verteidigen die verfrühten Investitionen,
man könne ja nicht bei jeder politischen Entscheidung auf die Gerichte warten.
Da schon von Anbeginn (2013) jedem, der es wissen wollte, klar
sein konnte, dass die Maut gegen EU Recht verstößt, könnte man dies den
beteiligten Personen m. E. als Veruntreuung auslegen.
Der Bundeshaushalt hat ein Loch von 350-500 Mio. Euro, weil
man fest mit der Maut rechnete, und sie sich schöngerechnet hat – sogar Herr
Schäuble.
Beurteilung
Es ist erschreckend und dem Glauben an die demokratisch
gewählten Instanzen sehr abträglich, dass es einer kleinen (2013: 7,4%) lokale
Partei gelungen ist, das Gesetz in Deutschland durch alle Instanzen der
Legislative zu bringen, gegen deren besseres Wissen und Großteiles auch gegen
deren Überzeugung.
Dass auch die EU-Kommission eingeknickt ist, ist nicht
wirklich nachvollziehbar.
Hätte der EuGH nicht so geurteilt, wäre dieser unerhörte
Vorgang eine Carte Blanche für die großen EU-Staaten, sich nicht um EU-Recht
scheren zu müssen!
Offensichtlich ist der EuGH in diese Kette der Ereignisse
die einzige unabhängige Instanz.
Ausblick - was kommt als nächstes?
Maut ohne Steuersenkung – wir wollten ja, die EU und evtl.
die Österreicher (das hat die CSU ja schon immer gesagt) sind schuld.
Kein Umweltschutz.