5/30/2022

Kleiner Ausflug mit der Bahn - ein Abenteuer für Gehbehinderte

Ich wollte also mit der Bahn über Augsburg nach Stuttgart fahren. Noch ist alles ganz "normal", es gibt noch kein 9-Euro-Ticket, so dass ich auch einen Sitzplatz bekommen sollte. So weit so gut.

Das erste Hindernis ist fair verteilt, es trifft Behinderte und Nicht-Behinderte gleichermaßen: von Augsburg nach Stuttgart braucht man normalerweise in 2:30 Stunden mit einem Umstieg in Ulm. Mit dem ICE geht das sogar in 1:40 Stunden und ohne umsteigen.

Heute aber nicht, wegen Baustellen (Vermutung: Stuttgart 21) fahren die Züge anders und man darf in Donauwörth und Aalen jeweils einmal umsteigen. Nun bin ich ja Bahnfahrer genug, um zu wissen, dass jeder Umstieg das Risiko erhöht, den Anschluss zu verpassen und Ewigkeiten auf hochinteressanten Bahnhöfen herumzusitzen - wenn man Glück hat wenigstens überdacht und windgeschützt. Da leiste ich mir doch gerne den ICE, das ist bequemer und ich verpasse keinen Zug. Zumindest nicht zwischen Augsburg und Stuttgart.

Gut, der ICE wird auch umgeleitet und fährt 2:40 Stunden, also eine Stunde länger als gewöhnlich und sogar 10 Minuten länger als die normale Verbindung ohne ICE, aber die gibt es heute ja nicht. Und für den Aufpreis muss ich wenigstens nicht umsteigen, verpasse keine Anschlüsse und kann das Hinterland der Bahn mit 80-120 km/h und einigen längeren Halten auf freier Strecke entspannt genießen.

So weit, so ... gut?

In Augsburg angekommen gibt es keinen (einzigen!) Aufzug und keine Rolltreppen. Kein Problem - für Nicht-Gehbehinderte. Für mich schon, mit dem Koffer. Aber es gibt an der Treppe ein Förderband fürs Gepäck. Das ist leider zwischen Geländer und Treppe, so dass ich meinen Koffer abstellen muss und dann auf die andere Seite der Treppe gehen muss, um mich beim "Abstieg" festhalten zu können. So weit komme ich aber gar nicht, denn der Koffer fällt bei dem schmalen Band um, auf die Treppe und rattert mit hoher Geschwindigkeit hinunter. Zum Glück kamen ihm keine Bahnreisenden in den Weg, die hätter er ohne an Geschwindigkeit zu verlieren umgemäht. Und der Inhalt ist auch nicht zerbrochen. Glück gehabt, es bleibt nur der Schreck.

Weiter geht es zum Café, denn ich habe einen längeren Aufenthalt - man will ja keinen Zug verpassen, schon gar keinen ICE mit Zugbindung. Dazu muss ich Treppen hoch. Diesmal - so denke ich - mache ich es besser und stütze mich auf meinen Koffer, dann fällt keiner von uns beiden um. Denke ich. Denn dieses Förderband funktioniert nicht. Also Koffer hinauf tragen. Gutes Training.

Nach dem Kaffee weiß ich ja schon, was mich erwartet: Koffer hinunter tragen. Koffer eine Stufe runter stellen. Nachlaufen. Nächste Stufe. Wiederhole ad infinitum - zumindest gefühlt.

Neues Gleis, neues Band, neues Glück? Nein, das Band zu meinem Gleis funktioniert auch nicht. Also Koffer hoch wuchten.

Puh, endlich im Zug! In Stuttgart wird alles besser, da muss ich ja nur zur S-Bahn. Und so genieße ich die Fahrt, die heute eben Überlänge hat. Kann ich gebrauchen, ich muss mich etwas erholen ...

Endlich in Stuttgart. Die Großbaustelle Stuttgart 21, die einen schönen Bahnhof abreißt um einen unterdimensionierten, überteuerten, und in jedem Sinne unterirdischen Bahnhof zu Bauen. Ach, was soll's.

Die Umleitungen am Bahnhof sind gut gekennzeichnet. Statt einfach durch zu laufen wird man im Freien einmal um das komplette Gebäude herum geschickt. Für Gehbehindert ... naja.

Dann geht es ins Untergeschoss. Es gibt eine Rolltreppe! Und die fährt aufwärts. Eine zweite gibt es nicht. Rückblickend hätte ich einen anderen Zugang wählen müssen, aber der war ja nicht ausgeschildert. Dort hätte es sicher (!) einen Aufzug oder zwei Rolltreppen gegeben. Sei's drum, inzwischen habe ich ja trainiert.

Auf halber Strecke denke ich, das Geländer, an dem ich mich festhalten muss, fühlt sich aber rauh an. Ich schaue, und sehe: das Geländer ist komplett mit Taubendreck zugekleistert, und meine Hand mittendrin.

Unten angelangt kommt erst mal ein Desinfektionsmittel zum Einsatz.

Zur S-Bahn geht es noch ein Geschoss weiter nach unten. Diesmal mit zwei Rolltreppen, eine rauf, eine runter. Und jetzt rate mal, welche außer Betrieb ist! Aber zumindest ist das Treppengeländer sauber frei von Taubendreck.

Manchmal hasse ich die Bahn wirklich! Und das Projekt Stuttgart 21 sowieso. Und das nicht nur manchmal.

Der Rest der Reise mit S-Bahn und Bus war dann das reine Zuckerschlecken. Wobei sich nach diesen Erlebnissen wahrscheinlich sogar eine Fahrt mit der Draisine gut angefühlt hätte :-)

No comments:

adaxas Web Directory